Creditsafe-Analyse zur Automobilindustrie

Ein Wirtschaftssektor zwischen Standstreifen und Überholspur

Deutschland, ein Autoland? Zumindest, was den internationalen Ruf angeht, gehört die Automobilindustrie zu einer der ikonischen Branchen der Bundesrepublik – kaum ein Produkt steht mehr für den wirtschaftlichen Erfolg des Landes wie die verschiedenen weltweit bekannten Marken. Ob die Branche dem Ruf als tragende Säule in unserem Wirtschaftssystem gerecht werden kann, beantwortet nun eine Erhebung von Creditsafe Deutschland. Die weltweit meistgenutzte Auskunftei hat in einer Risikoanalyse nun ermittelt, welche Einflussfaktoren ein wirtschaftliches Problem darstellen könnten oder bei welchen Faktoren kein Grund zur Sorge besteht. Creditsafe greift dazu unter anderem auf veröffentlichte Unternehmensbilanzen sämtlicher Betriebe der Branche zurück und vergleicht diese mit den Daten der über drei Millionen deutschen Unternehmen aller Industrien. Dazu unterteilt die Auskunftei den Automobilsektor in drei verschiedene Sub-Branchen, die jeweils eine bedeutende Rolle innerhalb dieses Wirtschaftszweiges spielen:

Die Herstellung von Fahrzeugen und Bauteilen, Handel mit und Reparatur von KFZ und technischen Komponenten sowie die Produktion von Gummi- und Kunststoffwaren. Alle Branchen geben dabei laut der Analyse ein gemischtes Bild ab. 

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Liquidität bei Firmen aus dem Bereich Herstellung von Gummi- und Kunststoffwaren problematisch

Branchenübergreifend, das heißt im Vergleich zu allen Industrien der deutschen Wirtschaft, weisen 34 Prozent der Firmen eine unzureichende Liquidität vor. Vor allem bei Gummi- und Kunststoffwaren-produzierenden Unternehmen ist der Zustand bemerkenswert – eine geringe Liquidität haben hier 43 Prozent der Firmen. Auch in der Fahrzeugherstellung ist der Wert mit 38 Prozent leicht erhöht, Unternehmen aus Handel und Reparatur kommen auf etwa 30 Prozent. Gründe dafür sind unter anderem die hohe Anlagenintensität sowie der Bedarf an vorzufinanzierenden Produktionsmitteln. 

Die Verfügbarkeit von genügend Zahlungsmitteln, auf die ein Unternehmen unmittelbar zugreifen kann, ist vor allem in der aktuellen Situation zu einer der bedeutenden Größen zur Unternehmenssteuerung und der Bewertung der ökonomischen „Gesundheit“ einer Branche geworden. Eine zu hohe Liquidität führt durch den gegenwärtigen Niedrigzins dazu, dass das Vermögen schrumpft. Eine zu niedrige Liquidität erhöht dagegen das Risiko einer Zahlungsunfähigkeit. Diese Grundsätze galten auch schon vor der Corona-Krise, doch der Balanceakt zwischen zu hoher und zu geringer Liquidität ist in der gegenwärtigen Situation, bedingt durch gravierende Umsatzeinbrüche und Lieferengpässe, bedeutend schwieriger.

*Liquiditätsgrad 3 < 200%
**Eigenkapitalquote < 20 %

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Vor allem Handel und Reparatur weisen geringe Eigenkapitalquote auf

Grundsätzlich gilt: Je höher der Anteil an Eigenkapital im Vermögen eines Unternehmens ist, desto freier ist es von Gefahren durch Fremdkapitalrisiken und demnach höher die finanzielle Stabilität und Planbarkeit. Etwa 29 Prozent der Unternehmen in Deutschland verfügen über eine geringe Eigenkapitalquote und laufen daher unter anderem Gefahr, steigende Kosten wie etwa Zinsen, nicht ausreichend deckeln zu können. Unternehmen aus der Gummi- und Kunststoffbranche weisen hier einen etwas geringeren Wert von 26 Prozent auf, bei der Automobilherstellung sind es dagegen 34 Prozent und die Sub-Branche Handel und Reparatur kommt sogar auf 38 Prozent.

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Überschuldung der Branche entspricht dem Bundesdurchschnitt

Darlehen und Kredite waren aufgrund der Corona-Krise in den vergangenen Monaten deutlich einfacher erhältlich, bergen jedoch die Gefahr einer Überschuldung. Als überschuldet gelten in Deutschland 15 Prozent aller Unternehmen. Die Automobilbranche bewegt sich dabei auf einem ähnlichen Niveau (Herstellung sowie Handel und Reparatur jeweils 16 Prozent). Unternehmen aus der Gummi- und Kunststoffproduktion kennen ihr Limit etwas besser: Hier sind 11 Prozent aller Betriebe und somit etwas weniger als im Bundesdurchschnitt überschuldet.

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Ausfallrisiko: Gefahr einer Firmenpleite geringer als im Durchschnitt

Als ein maßgeblicher Faktor zur Bewertung der wirtschaftlichen Stabilität gilt das Ausfallrisiko, also die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Unternehmen innerhalb der nächsten zwölf Monate Insolvenz anmelden muss. Das branchenübergreifende, durchschnittliche Ausfallrisiko beträgt laut Creditsafe 1,4 Prozent. Sowohl in der Automobilherstellung als auch bei Unternehmen, welche Gummi- und Kunststoffwaren herstellen, ist diese Gefahr mit 1,1 Prozent bzw. 0,8 Prozent deutlich geringer. 

Als ein hohes Risiko gilt eine Ausfallwahrscheinlichkeit von mehr als drei Prozent. Demnach weisen 15 Prozent der Händler und 12 Prozent der Auto(teile)-Hersteller ein hohes Ausfallrisiko auf.

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Die Bilanz der Unternehmen aus der Industrie ist durchwachsen

Die Auswertung von Creditsafe zeichnet ein gemischtes Bild von der Automobilindustrie. Einzelne Sub-Branchen unterscheiden sich in ihrer wirtschaftlichen Stabilität bzw. dem Risikoprofil zum Teil deutlich. 

Die Automobilherstellung entspricht am ehesten dem branchenübergreifenden Durchschnitt, zum Teil sind die einzelnen Risiko-Indikatoren nur leicht erhöht. Das durchschnittliche Ausfallrisiko ist hier sogar vergleichsweise gering. Die Sub-Industrie Herstellung von Gummi- und Kunststoffwaren polarisiert dagegen. Während der Anteil an Unternehmen mit unzureichender Liquidität im Vergleich hoch ist, gibt es etwas weniger überschuldete Betriebe. Der Bereich Handel und Reparatur fällt dagegen durch einen hohen Anteil an Unternehmen mit geringer Eigenkapitalquote auf, ist aber ansonsten unauffällig. 

Insgesamt ist die Automobilindustrie laut der Analyse der Datenexperten von Creditsafe daher weder besonders stabil noch ein gefährdender Faktor in der deutschen Wirtschaft. Nichtsdestotrotz ist Dynamik in der Branche zu spüren. So stellen jüngste Befürchtungen um den Mangel an wichtigen Elektronik-Chips die zukünftigen Produktionskapazitäten auf die Probe. Außerdem scheint der Trend immer mehr in Richtung Elektromobilität zu gehen. Es bleibt demnach abzuwarten, ob sich dadurch die wirtschaftlichen Indikatoren in den nächsten Jahren ändern werden.

  1. Infografik Automobilindustrie: Risikoindikatoren

  2. Infografik Automobilindustrie: Unternehmensalter & -größe